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Geschichte von Didyma

Bei dem an der türkischen Westküste liegenden Didyma handelt es sich um das außerstädtische (extraurbane), etwa 20 km entfernt gelegene Heiligtum der antiken Hafenstadt Milet. Die von griechischen Kolonisten aus Athen wahrscheinlich im 11. Jh. v. Chr. gegründete oder auch wiederbesiedelte Stadt, die in archaischer Zeit die mächtigste griechische Kolonie in Kleinasien darstellte, war mit Didyma seit dem 7./6. Jh. v. Chr. durch eine Straße verbunden, die bereits in antiken Schriftquellen als Heilige Straße bezeichnet wurde. Denn auf ihr zogen im Rahmen von bestimmten religiösen Festtagen Prozessionen von Milet nach Didyma, um den dortigen Göttern zu opfern und verschiedene rituelle Handlungen zu verrichten. Die ältesten Baureste in Didyma stammen ebenso wie das früheste archäologische Fundmaterial aus dem Ende des 8. Jhs. v. Chr. Auch wenn antike Schriftquellen ein älteres Gründungsdatum für die Stätte überliefern, ist beim jetzigen Forschungsstand davon auszugehen, dass die Anfänge des Heiligtums nicht vor dem Ende des 8. Jhs. v. Chr. anzusetzen sind. Berühmt war Didyma für sein Apollonheiligtum mit einer Quelle als Kultmal, das neben Delphi und Dodona zu den bekanntesten griechischen Orakelstätten der Antike zählte. Seine Bedeutung fand bereits im 6. Jh. v. Chr. sichtbaren Ausdruck in einem monumentalen Tempelneubau, der mit dem Artemistempel von Ephesos und dem Heratempel von Samos zu den größten Tempeln der archaischen Zeit gehörte. Hier holten berühmte Personen, wie z. B. der ägyptische Pharao Necho (610–595 v. Chr.) und der Lyderkönig Kroisos (560–547/46 v. Chr.), Orakel ein und stifteten wertvolle Weihgeschenke. Von dem großen Reichtum des archaischen Heiligtums zeugen heute noch zahlreiche, wenn zumeist auch leider weitgehend zerstörte Skulpturen, wie die berühmten Sitzfiguren, die heute in London (Britisches Museum) aufbewahrten sog. Branchiden. Gemeinsam mit vielen anderen Statuen waren sie einst vor allem im Heiligtum, aber auch in eigenen Bezirken entlang der Heiligen Straße aufgestellt. Neben Apollon wurden in Didyma aber auch noch andere Gottheiten in eigenen Kultbezirken verehrt. Von ihrer Existenz wusste man bis vor wenigen Jahren lediglich aus den zahlreichen Inschriften, die in Didyma gefunden wurden. Eine wichtige Rolle spielte sicherlich die Zwillingsschwester des Apollon, die Göttin Artemis, die epigraphischen Zeugnissen zufolge einen eigenen Tempel besaß, dessen Fundamente möglicherweise 2014, hundert Jahre nach der Freilegung des Apollontempels, entdeckt wurden. Aber auch Zeus und Aphrodite hatten hier eigene Kultbezirke, deren Lokalisation noch aussteht.

Das in archaischer Zeit bekannte Heiligtum von Didyma erlitt Anfang des 5. Jhs. v. Chr. das gleiche Schicksal wie Milet, als es von den Persern zerstört wurde. Dieser Katastrophe fiel auch der Apollontempel zum Opfer. Erst seit dem Ende des 4. Jhs. v. Chr. begann man, den zerstörten Tempel durch einen ebenfalls monumentalen Neubau zu ersetzen. Dieser Tempel, dessen Ruinen heute noch den modernen Ort dominieren, wurde nie fertiggestellt. Bis in die römische Kaiserzeit bemühte man sich, das gewaltige Bauvorhaben abzuschließen, die äußeren Säulenstellungen des Tempels blieben aber immer unvollendet und das Tempelareal muss durch alle Zeiten hindurch einer Baustelle geglichen haben. Die Unfertigkeit des Tempels beeinträchtigte aber nicht die in spätklassischer Zeit wiederaufgenommene Orakeltätigkeit und die Durchführung verschiedenster ritueller Handlungen. Auch weiterhin gehörte das Heiligtum zu den bedeutendsten Kultstätten der Antike, so dass ihr nicht nur hellenistische Herrscher, sondern auch römische Kaiser die Ehre erwiesen und ihren Ausbau förderten. Hierüber erfahren wir ebenfalls vor allem aus den zahlreichen Inschriften. Diese geben nicht nur Auskunft über die kultischen Ämter, die ehrenhalber zuweilen auch von hellenistischen Königen oder römischen Kaisern übernommen wurden, sondern verraten als Weihinschriften auf Basen auch, dass Statuen der Herrscher selbst oder von deren Angehörigen aus – zuweilen vergoldeter – Bronze einst den Göttern dargebracht wurden: Spätestens seit dem 3. Jh. v. Chr. wurde zu Ehren Apollons erst jährlich, dann seit 200 v. Chr. alle vier Jahre ein kultisches Fest mit sportlichen und musischen Agonen veranstaltet, die sog. Didymeen. Solche Feste waren in den großen Heiligtümern obligatorisch und sind immer im religiösen Kontext zu sehen. Dementsprechend waren rituelle Handlungen ein fester Bestandteil dieser Ereignisse. Während die sportlichen Wettkämpfe im Stadion, unmittelbar an der Südflanke des Tempels, ausgetragen wurden, fanden die musischen in dem erst 2011 entdeckten Theater südlich des Tempels statt.

Von den in Didyma praktizierten Kulten und den religiösen Strukturen ist aus der schriftlichen Überlieferung leider nur wenig bekannt. So wissen wir beispielsweise nur wenig über die Praxis der Orakelbefragung und -verkündung. Allein die unkanonische Gestalt des Tempels lässt in dieser Hinsicht einige Rückschlüsse zu. Auch ist bekannt, dass zum Kultpersonal ein Oberpriester des Apollon, Prophet genannt, und eine Artemispriesterin, eine sog. Hydrophore (Wassertragende) gehörten. Ferner erfüllte eine mit der delphischen Pythia vergleichbare Prophetin die Funktion der Orakelbefragung. Darüber hinaus gab es natürlich viele weitere Ämter mit kultischen oder rein administrativen Aufgaben, die das Funktionieren des Kultbetriebes erst gewährleisteten. Da es üblich war, durch die Aufstellung von Inschriften seine Pflichterfüllung und andere im Rahmen der Amtstätigkeit ausgeführten Wohltaten bzw. Stiftungen öffentlich zur Schau zu stellen, ist es auch in diesem Fall das gefundene epigraphische Material, dem wir diese Kenntnisse verdanken.

Mit dem Wiederaufbau von Didyma und der Reaktivierung der Orakelquelle sowie der Einrichtung der Didymeen unter Protektion der Seleukiden im 3. Jh. v. Chr. erlebte das Heiligtum nach seiner Zerstörung Anfang des 5. Jhs. v. Chr. in hellenistischer Zeit eine erneute Blüte. Eine weitere besonders prosperierende Zeit führte schließlich im 2. Jh. n. Chr., vor allem unter Kaiser Hadrian, zum weiteren Ausbau von Didyma. Die Zeit des Niedergangs setzte dann im 3. Jh. n. Chr. ein, als zunehmende Übergriffe eindringender Bevölkerungsgruppen, wie z. B. der Goten, zu Bedrohungen und Zerstörungen im Römischen Reich führten. Überdies breitete sich das Christentum immer weiter aus, dem der heidnische Orakelkult besonders verhasst war. In der 2. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr. scheint der Kultbetrieb bereits an Bedeutung verloren zu haben, gehören doch die letzten Inschriften der beiden wichtigsten Vertreter des Kultpersonals, der Propheten und der Hydrophoren, in die Mitte des 3. Jhs. Insofern endet zumindest die von ihnen gepflegte Tradition, ihre Verdienste und hohe gesellschaftliche Stellung öffentlich zu dokumentieren. Überdies scheinen auch die Festspiele nicht mehr gefeiert worden zu sein. Auch wenn es offensichtlich zu Einschränkungen im Kultbetrieb kam, die einen Bedeutungsverlust traditioneller Kultpraktiken widerspiegeln, wurde der Orakelbetrieb noch nicht eingestellt. So ist zu erfahren, dass Kaiser Diokletian selbst im Jahre 303 das Orakel konsultierte, um seine Christenverfolgung befürworten zu lassen. Auch lassen sich weiterhin Bauprojekte und Stiftungen zugunsten der Pflege und des Ausbaus des Heiligtums und seines Kultbetriebes fassen. Spätestens im 4. Jh. werden dann im Heiligtum zunehmend christliche Kapellen, Friedhöfe und Märtyrergräber errichtet. Nachdem schließlich unter Kaiser Theodosius infolge der 385 und 392 n. Chr. erlassenen Edikte der heidnische Kult endgültig verboten worden war, fand die Christianisierung ihren deutlichsten Niederschlag in der Errichtung einer dreischiffigen Emporenbasilika im offenen Hof des Apollontempels am Ende des 5. oder Anfang des 6. Jhs. Die Reste des aus Spolien errichteten Kirchenbaues wurden nach der Freilegung des Tempels entfernt. Im 5./6. Jh. n. Chr. erlebte das antike Didyma eine letzte Blüte, wurde doch auch die Randbebauung der seit dem 4. Jh. vernachlässigten Heiligen Straße nochmals mit einer repräsentativen Halle versehen. Spätestens in der 2. Hälfte des 7. Jhs. war Didyma Bischofssitz. Trotz seiner besonderen Stellung erfuhr die Stätte jedoch seit dem 7. Jh. einen sukzessiven Niedergang, was nicht zuletzt auch auf größere Erdbeben zurückzuführen ist, durch die im Mittelalter auch der Tempel mit der Basilika zerstört wurde.

Inwieweit der Ort nach der großen Erdbebenzerstörung von 1493 noch besiedelt war, entzieht sich unserer Kenntnis. Die fassbare neuzeitliche Geschichte Didymas setzt erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts wieder ein, als Griechen von den ägäischen Inseln um den zerstörten Apollontempel herum das Dorf Jeronda oder Yoran gründeten. In Folge des Griechisch-Türkischen Krieges (1919–1922) und des 1923 geschlossenen Vertrages von Lausanne (Konvention über den Bevölkerungsaustausch) wurden die griechischen Einwohner nach Griechenland umgesiedelt und türkische Familien bezogen die Häuser des Dorfes. Die 1830 errichtete Hauptkirche von Didyma wurde anschließend in eine Moschee umgewandelt und einige der von den Griechen noch genutzten Kapellen aufgegeben. Seit den 1990er Jahren hat sich das einst ländliche Umland von Didyma in eine zusammenhängende urbane Struktur verwandelt und die antike Stätte und die Reste des alten Dorfes eingeschlossen.

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